Sybilla Haindl

1998 Jahresbericht GRG 3


Ein Denkmal für Jura Soyfer - denk mal!

Dieses Jahr gedenkt man wieder des "Anschlusses" Österreichs an das Deutsche Reich im Jahre 1938. Direkt nach dem Einmarsch deutscher Truppen am 12. März setzte eine nicht enden wollende Verhaftungswelle ein. Einer von den vielen, die verhaftet wurden, war Jura Soyfer, ein proletarisch-revolutionärer Dichter, Erzähler, Reporter und Stückeschreiber. Seine Gedichte waren für den Tag geschrieben und - im Kuckuck und in der Arbeiter-Zeitung veröffentlicht - "Waffen im Klassenkampf". Seine Stücke waren für die Kleinkunstbühne. In einer Vorstellung konnten (offiziell) maximal 49 Zuschauer erreicht werden. Das hing damit zusammen, daß Etablissements mit weniger als 50 Sitzplätzen keiner Konzession bedurften und somit nicht als Theater galten. Sie fielen nicht unter die strengen feuerpolizeilichen Vorschriften. Kein Wunder also, daß es in den 30er Jahren viele solche Kabarett- und Kleinkunstbühnen in den Souterrains der Kaffehäuser gab. In Wien gab es drei führende Kleinkunstbühnen: das ABC, die Literatur am Naschmarkt und den Lieben Augustin im Café Prückl. Jura schrieb für alle drei. Aber alles fing mit dem ABC an...

1935 kam der damalige Hausdichter des ABC, Hans Weigel, zum Regisseur und künstlerischen Leiter, Leon Askenasy (heute Leon Askin), und erzählte ihm von einem jungen, talentierten Dichter, Jura Soyfer. Weigel zog es zu großen Bühnen und Jura wurde ans ABC engagiert, wo er der neue Hausdichter wurde. Das Schauspielensemble bestand aus sieben Personen und Nervenkisten (eine von den Nervenkisten war z.B. Josef Meinrad), außerdem gab es da noch den Hauskomponisten, Jimmy Berg, der konnte keine Noten lesen und war ein begnadetes Naturtalent. Er schrieb die Melodien für Soyfers Lieder, die in den Stücken gesungen wurden.

Denn nahe, viel näher als ihr es begreift,
Hab' ich die Erde gesehn.
[...]
Voll Hunger und voll Brot ist diese Erde,
Voll Leben und voll Tod ist diese Erde,
In Armut und in Reichtum grenzenlos.
Gesegnet und verdammt ist diese Erde,
Von Schönheit hell umflammt ist diese Erde,
Und ihre Zukunft ist herrlich und groß.

Dieses Lied singt der Komet Konrad am Schluß von Soyfers Stück Weltuntergang und begründet damit seinen Entschluß, die Erde und die Menschen vor einem Aufprall zu verschonen. Weil die Erde das Ungeziefer Menschen hatte, hatten nämlich die Sonne und die Planeten beschlossen, sie zu entmenschen und schickten den Kometen Konrad auf die Erde zu. Auf der Erde hatte Professor Guck zwar die Gefahr erkannt und sogar ein Gegenmittel erfunden, doch niemand interessierte sich dafür. Die Menschen lebten einfach weiter nach dem Motto "Gehn ma halt a bisserl unter, [...] gar so arg kann's ja net sein", denn "Erstens kann uns eh nix g'schehn, Zweitens ist das Untergehn 's einzige, was der kleine Mann heutzutag sich leisten kann." Herrlich wienerisch ist diese Einstellung (anno 1936). Noch viel extremer beschreibt Soyfer Wien in Vineta. Dieses Stück (1937 geschrieben; es ist Soyfers vorletztes Stück) handelt von der versunkenen Stadt Vineta - natürlich ist Wien gemeint - deren Bewohner alles vergessen, sogar warum sie leben, und in ihrem sinnlosen Dahinvegetieren eigentlich tot sind. "Wer Wien in diesen Jahren erlebt hat, weiß [...], wie berechtigt diese Vision eines bis auf Widerruf dem Leben ähnlichen Grabes gewesen ist." Mit Vineta karikiert Soyfer - wie in seinem Stück Astoria - eine faschistische Staatsform. Sich von dem Faschismus zu befreien, dazu ruft Soyfer mit allem, was er schrieb, auf. Die Menschen sollen nicht weiter vergessen, sondern sich ihrer Vergangenheit erinnern, sie sich wieder bewußt machen, um mögliche Fehler kein zweites mal zu begehen. Ein totalitäres, faschistisches System verfolgt das Ziel, eine Identität zu zermalmen und den Menschen eine "idealisierte", von allen "störenden" Bezügen gereinigte, krankhafte Identität aufzuzwingen. Die Menschen sollen nachdenken, wer und was vor ihnen war und was sie zu Menschen macht. Die Menschen sollen zu Menschen werden, sich zu Individuen, die sie voneinander unterscheiden, entwickeln und sich nicht auf ein Skizzenbild reduzieren lassen. Nachdenken, sich erinnern, sich etwas wieder bewußt machen, nachdenken.... Wer war er, dieser Jura Soyfer? Einer von den vielen jüdischen, politischen KZ-Häftlingen, den "die Arbeit frei machte",..., ein junger, ambitionierter Literat,..., ein lustiger Bursch, ein Schüler der Hagenmüllergasse, ...? Nächstes Jahr, 1999, am 16.Februar, jährt sich zum 60. mal der Todestag Jura Soyfers. Anlaß genug, eine Gedenktafel in den Hallen anzubringen, in denen alles begann.... "Soyfer und [?] sind ständig unaufmerksam und benehmen sich kindisch", "Soyfer geht ohne ein Wort zu sagen nach Hause"? Vielleicht auch eine Schultheateraufführung eines Soyfer-Stückes?! Jedenfalls eine Gelegenheit für die Schule, sich auch der eigenen Vergangenheit zu besinnen. Zwei Soyfer-Gedichte, die Erinnerung und Bewußtmachung beschreiben, sollen der Abschluß dieses Aufsatzes, nicht aber der Abschluß der Auseinandersetzung mit Soyfer und der Vergangenheit sein.

Ihr wißt ja nicht, ihr strengen, starren,
Ihr würdigen, ihr weisen Narren,
Ihr wißt ja nie, wie weh ihr tut.
Ihr kennt nicht unsre stumme Wut,
Ihr hört nicht unsre Zähne knirschen
Stolz, steif unter dem schimmelgrünen Doktorhut.
[...]
Ihr habt doch längst die Zeit vergessen,
Da ihr noch selbst in eurer Bank gesessen.
Da euch noch lockten, weite, blaue Fernen,
Da ihr noch aufwärts wolltet zu den Sternen,
Da ihr noch Mädelnamen auf die Bank gekratzt
Und aufs Katheder streutet Apfelsinenkerne.
[...]
Nur manchmal - es sind seltne Augenblicke,
Da ruhn durch Brillen eure Blicke
Auf uns so eigentümlich: anderswo und starr,
Als wenn ein wilder Ruf, ein flatternd Haar
In euch was Fernes, Zartes rühre,
Das lange, lange her schon war.
     Jura Soyfer, 1930


Menschen sind wir einst vielleicht gewesen
Oder werden's eines Tages sein,
Wenn wir gründlich von all dem genesen.
Aber sind wir heute Menschen? Nein!

Wir sind der Name auf dem Reisepaß,
Wir sind das stumme Bild im Spiegelglas,
Wir sind das Echo eines Phrasenschwalls
Und Widerhall des toten Widerhalls.
Längst ist alle Menschlichkeit zertreten,
Wahren wir doch nicht den leeren Schein!
Wir, in unsern tief entmenschten Städten,
Sollen uns noch Menschen nennen? Nein!

Wir sind der Straßenstaub der großen Stadt,
Wir sind die Nummer im Katasterblatt,
Wir sind die Schlange vor dem Stempelamt
Und unsre eignen Schatten allesamt.

Soll der Mensch in uns sich einst befreien,
Gibt's dafür ein Mittel nur allein:
Stündlich fragen, ob wir Menschen seien,
Stündlich uns die Antwort geben: Nein!

Wir sind das schlecht entwofne Skizzenbild
Des Menschen, den es erst zu zeichnen gilt.
Ein armer Vorklang nur zum großen Lied.
Ihr nennt uns Menschen? Wartet noch damit!

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